Negative Zinsen auch in langen Laufzeitbereiche sind im Euroraum seit vielen Jahren Alltag. Entsprechend sind negative EURIBOR-Fixings bei variabel verzinslichen Assets schon so normal geworden, dass ihre Existenz bei Marktteilnehmern nur noch Schulterzucken hervorruft.
Negative Zinsen bedeuten aber nicht nur, dass variabel verzinsliche Assets häufig keine Zinszahlungen mehr leisten. Es bedeutet auch, dass Jahrzehnte alte Binsenweisheiten nicht mehr gelten – wie zum Beispiel die, dass variabel verzinsliche Assets (ob Floating Rate Notes oder EURIBOR-Darlehen) nur ein unbedeutendes Zinsänderungsrisiko haben.
In einer Welt negativer Zinsen verlagert sich das Zinsänderungsrisiko auch von variabel verzinslichen Produkte in die mittleren oder gar langen Laufzeiten. Aus dem klassischen, mit den vier Grundrechenartenbeherrschbaren, Produkt ist im negativen Zinsumfeld ein Asset mit einem eingebetteten Derivat (Floor) geworden.
Was das für das Zinsrisiko bedeutet, soll an einem Beispiel verdeutlicht werden:
Es wird ein Asset mit 5-jähriger Laufzeit (bspw. eine Floating Rate Note oder ein variabel verzinsliches Darlehen) mit halbjährlicher Zinszahlung auf Basis des 6 Monats-EURIBORs zzgl. 30bp betrachtet.
In einer Welt mit positiven Zinsen würde das Zinsänderungsrisiko klassischerweise auf dem nächsten Fixingtermin sowie aufgrund des EURIBOR-Aufschlags in kleinem Umfang auf den übrigen Fixingterminen liegen. Die Grafik zeigt die (negative) Wertänderung des Assets bei einem Anstieg des Zinses für die jeweilige Laufzeit um einen Basispunkt – der Schwerpunkt liegt auf dem kommenden Zinsfixing in sechs Monaten.
In einem negativen Zinsumfeld verändert sich das Bild grundlegend:
Die Zinszahlung darf nicht negativ werden und muss mindestens 0% betragen. Dies ist für alle Fixings des 6 Monats-EURIBORs relevant, die kleiner als -0,3% sind.
Beispielhaft für ein Fixing von -0,35% hieße das: Das Asset zahlt das Fixing plus 0,3%, mindestens jedoch 0%. Somit entfällt die Zinszahlung, da das rechnerische Ergebnis von -0,35 plus 0,3%=-0,05% zu einemnegativen Zinssatz führt.
Das Asset enthält somit eine implizite Floor-Option mit einem Strike von -0,3%, die der Assetkäufer erhält. Das führt zu einer grundlegenden Änderung des Zinsrisikoprofils, dessen Schwerpunkt nicht auf dem kommenden Fixingtermin liegt, sondern in den mehrjährigen Laufzeitbereich „wandert“.
Dies lässt sich intuitiv erklären:
Liegen die Forward Rates (also die abgeleiteten zukünftigen Zinsfixings) deutlich unterhalb von-0,3%, dann verbleiben diese auch bei (moderaten) Zinsanstiegen auf diesem Niveau und es greift weiterhin der Floor. Es ergeben sich somit weiterhin Zinszahlungen von 0%. Es ist also, vereinfacht gesagt, egal, ob sich die Zinsen im kurzfristigen Bereich verändern oder nicht – es bleibt bei einer Zins“zahlung“von 0%.
Das Zinsänderungsrisiko verschiebt sich in die längeren Laufzeiten. Und zwar genau in den Laufzeitbereich, in dem auch ein leichter Zinsanstieg dazu führt, dass das abgeleitete Zinsfixing oberhalb von -0,3% liegt, der Floor also nicht mehr greift und sich anstelle einer 0%-Zinszahlung eine positive Zinszahlung ergeben würde.
Im vorliegenden Beispiel ist dies der Laufzeitbereich von drei Jahren. Die folgende Grafik zeigt, welche Auswirkung ein Anstieg des Zinses für drei Jahre (der 3,5 Jahreszins ist interpoliert und verändert sich hierdurch auch) auf die zukünftigen 6 Monats-Fixings (Forward Rates) hat.
Neben diesem intuitiv nachvollziehbaren Effekt kommt durch den Floor auch eine Optionskomponente hinzu, die sich auf das Zinsänderungsrisikoprofil umso stärker auswirkt, je näher die Forward-Rates am Floor (also hier an -0,3%) sind (-> wie nah sind die einzelnen Floorlets am Geld?). Hierdurch verschiebt sich das Zinsänderungsrisikoprofil noch zusätzlich in längere Laufzeitbereiche. Die intuitive Erklärung hier ist, dass weitere Zinsrückgänge möglich sind, die auch in den längeren Laufzeiten dazu führen, dass der Floor greifen könnte.
Es macht also einen Unterschied für die erwartete Zinszahlung in 3,5 Jahren, ob der 3 Jahres-Zins steigt oder fällt. Zinsveränderungen für Laufzeiten unterhalb von drei Jahren haben hingegen keine Auswirkung auf die zukünftigen Zinszahlungen, da die Forward Rate auch nach einem 1bp-Anstieg unterhalb des Floors bleibt.
Für das gewählte Beispiel ergibt sich unter Berücksichtigung dieser Komponente der in der Abbildung (Zinsänderungsrisikoprofil) gezeigte Vergleich zwischen dem altbekannten klassischen Zinsänderungsrisikoprofil ohne Floor (grün) und dem Zinsänderungsrisikoprofil mit Floor (rot).
Das Risikoprofil erinnert eher an ein festverzinsliches Assets als an ein variabel verzinsliches. Dies hat Konsequenzen für die Praxis, insbesondere bei der Steuerung des Zinsänderungsrisikos!
Je nach Höhe des EURIBOR-Aufschlags (und somit des Floors) verschiebt sich das Zinsänderungsrisiko aus dem kurzfristigen Bereich in deutlich längere Laufzeiten. Möchte man Zinsänderungsrisiken vermeiden, sind variabel verzinsliche Assets nur bedingt das Mittel der Wahl.
Insbesondere wenn im betrachteten Asset der implizite Floor nicht adäquat gepreist ist, ist die Monetarisierung eine Möglichkeit zur Generierung von zusätzlichen Erträgen. In diesem Fall wird die implizite Option am Kapitalmarkt verkauft. Dadurch wird das Zinsänderungsrisiko wieder „normalisiert“, eine Prämieneinnahme geschaffen und zusätzlich der Options-Zeitwert des Floors realisiert.
Abhängig von der Konstellation (Laufzeit, Floor, Bepreisung des Floors im Asset) kann der Abschluss eines Receiver-Swaps (Festzins-Empfänger) eine interessante Möglichkeit sein. Da Swaps negative Zinszahlungen zulassen, kommt es auch bei negativen EURIBOR-Fixings zu einer Zinszahlung. In Verbindung mit dem gefloorten Asset kann hierdurch eine höhere Gesamtzinszahlung möglich werden. Insbesondere wenn weiterhin niedrige bzw. negative Zinsfixings erwartet werden, ist dies eine Möglichkeit, den positiven Effekt des Floors zu erhöhen.
Größere Zinsbewegungen beeinflussen das Zinsänderungsrisikoprofil deutlich. Je stärker die Zinsen ansteigen, desto geringer wird die Bedeutung des Floors und umso mehr verschiebt sich das Zinsänderungsrisiko vom langen in den kurzen Laufzeitbereich. Umgekehrt führen Zinsrückgänge zu einer weiteren Verschiebung der Zinsänderungsrisiken in längere Laufzeitbereiche.
Außerdem gilt es zu berücksichtigen, dass durch die Optionskomponente zusätzliche Risiken relevant werden – namentlich Volatilitätsrisiken (implizite Volatilität der Option) – und bei Änderungen zu „überraschenden“ barwertigen Effekten führen können.
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