Die Europäische Zentralbank (EZB) ist eine der mächtigsten Finanzinstitutionen der Welt. Als Zentralbank für den Euroraum spielt sie eine entscheidende Rolle für die Kaufkraft von Hunderten Millionen von Menschen und die wirtschaftliche Stabilität in Europa. Doch was genau sind ihre Aufgaben und Ziele, was unterscheidet sie von anderen großen Zentralbanken wie der US-amerikanischen Federal Reserve (Fed), und welche Instrumente nutzt sie, um die Ziele zu erreichen? Dieser Artikel beleuchtet die Kernaufgaben der EZB im Bereich der Geldpolitik und beschreibt ihre verfügbaren Instrumente.
Das vorrangige Ziel der Geldpolitik der EZB ist im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV, Artikel 127) definiert: Die Gewährleistung der Preisstabilität im Euroraum. Darunter versteht die EZB einen Anstieg der Inflation (des Harmonisierten Verbraucherpreisindex, HVPI) für den Euro-Währungsraum von mittelfristig 2%. Dieses Ziel ist symmetrisch: Sowohl eine zu niedrige als auch eine zu hohe Inflation werden nicht akzeptiert.
Aber warum ist Preisstabilität überhaupt wichtig und erstrebenswert? Es sind insbesondere zu nennen:
Planungssicherheit: Stabile Preise ermöglichen es Unternehmen und Privatpersonen, verlässlicher für die Zukunft zu planen, insbesondere im Hinblick auf Investitions- sowie Konsumentscheidungen.
Werterhalt: Preisstabilität schützt den Wert des Geldes und damit das Vermögen der Menschen.
Neben dem Hauptziel der Preisstabilität soll die EZB, soweit dies ohne Beeinträchtigung des Ziels der Preisstabilität möglich ist, auch die allgemeine Wirtschaftspolitik in der Union unterstützen. Dies soll zur Umsetzung der Ziele der Europäischen Union, wie z.B. nachhaltiges Wachstum und hoher Beschäftigungsgrad beitragen. Diesem sekundären Ziel kommt jedoch eine klar nachrangige Bedeutung zu („hierarchisches Mandat“).
Die Federal Reserve (Fed) ist das Zentralbanksystem der Vereinigten Staaten. Obwohl auch sie das Ziel der Preisstabilität verfolgt, unterscheidet sich ihr Mandat wesentlich von dem der EZB: Die Fed hat ein sogenanntes duales Mandat: Sie soll sowohl für stabile Preise („stabile prices“) sorgen als auch eine maximale nachhaltige Beschäftigung ("maximum employment") anstreben.
Dieser Unterschied ist fundamental:
Hierarchisches Mandat der EZB: Preisstabilität hat oberste Priorität. Andere Ziele werden nur verfolgt, wenn das Hauptziel nicht gefährdet ist.
Duales Mandat der Fed: Preisstabilität und maximale Beschäftigung sind gleichrangige Ziele. Die Fed muss bei ihren Entscheidungen stets eine Balance zwischen beiden finden. Dies kann zu potenziellen Zielkonflikten führen.
Diese unterschiedlichen Mandate spiegeln unterschiedliche historische Erfahrungen und politische Prioritäten wider.
Welche geldpolitischen Instrumente nutzt die EZB und wie wirken sie?
Um ihr Ziel der Preisstabilität zu erreichen, verfügt die EZB über sogenannte geldpolitische Instrumente. Diese wirken vor allem über die Beeinflussung der kurzfristigen Zinssätze am Geldmarkt, also den Zinssätzen für Gedanlagen oder -aufnahmen bis zu einem Jahr. Der sogenannte Transmissionsmechanismus (siehe auch Erläuterung unten) bezeichnet den Umstand, dass sich die Steuerung der kurzfristigen Zinssätze auf die Wirtschaft und letztlich auf die Inflation auswirkt.
Die wichtigsten geldpolitischen Standardinstrumente sind:
1. Hauptrefinanzierungsgeschäfte (Main Refinancing Operations, MROs)
Dies sind regelmäßige (derzeit wöchentliche) Kreditgeschäfte, bei denen Geschäftsbanken gegen Hinterlegung von Sicherheiten Liquidität von der EZB leihen können. Der Zinssatz für diese Geschäfte, der Hauptrefinanzierungssatz, ist der wichtigste Leitzins der EZB. Er beeinflusst die Kosten, zu denen Banken sich Geld von der EZB leihen können und ist Ausdruck des geldpolitischen Kurses der EZB.
2. Ständige Fazilitäten
Diese stehen den Banken jederzeit zur Verfügung und sind
Spitzenrefinanzierungsfazilität (Marginal Lending Facility): Banken können sich hierüber über Nacht Liquidität bei der EZB beschaffen, allerdings zu einem höheren Zinssatz als bei den MROs und ist die teuerste Möglichkeit der kurzfristigen Refinanzierung für Banken.
Einlagefazilität (Deposit Facility): Banken können überschüssige Liquidität über Nacht bei der EZB anlegen. Der Zinssatz für die Einlagefazilität bildet die Untergrenze des Zinskorridors und ist der Zinssatz, zu dem Banken ohne Risiko jederzeit Geld anlegen können. In Zeiten der Negativzinspolitik war dieser Satz negativ.
3. Mindestreserven
Geschäftsbanken sind verpflichtet, einen bestimmten Prozentsatz ihrer Kundeneinlagen als Guthaben auf Konten bei den nationalen Zentralbanken des Eurosystems zu halten. Der Mindestreservesatz beträgt derzeit 1%. Hat eine Bank beispielsweise Kundenguthaben in Höhe von 1 Mrd. EUR, so müsste sie im Schnitt 10 Mio. EUR bei der Zentralbank hinterlegen. Durch die Anpassung des Mindestreservesatzes kann die EZB die Liquiditätsnachfrage der Banken beeinflussen.
Wie wirken diese geldpolitischen Instrumente nun genau und was ist der Transmissionsmechanismus?
1. Im ersten Schritt beeinflussen Änderungen der Leitzinsen nicht nur die Zinsen, zu denen sich Bank Geld von der EZB leihen können, sondern auch die Höhe der Zinsen, zu denen sich Banken untereinander Geld leihen (Geldmarktzinsen)
2. Dies wirkt sich im zweiten Schritt auf die Zinsen aus, die Banken für Kredite und Einlagen (z.B. Tagesgeldkonten) festlegen.
3. Die dadurch veränderten Kreditzinsen und die Kreditverfügbarkeit beeinflussen die Investitions- und Konsumentscheidungen von Unternehmen und Haushalten.
4. Im Ergebnis wirkt sich dies auf die gesamtwirtschaftliche Nachfrage und damit mittelfristig auf die Inflationsrate aus.
Daneben spielen aber auch die Erwartungen über die zukünftige Geldpolitik der Zentralbank eine wesentliche Rolle für die Höhe der Kapitalmarktzinsen Investitionsentscheidungen.
Zusätzlich zu diesen Standardinstrumenten hat die EZB in Krisenzeiten (Finanzkrise, Staatsschuldenkrise, Pandemie) auch unkonventionelle Maßnahmen ergriffen, wie z.B. Anleihekaufprogramme (Quantitative Easing - QE), um die langfristigen Zinsen zu senken und die Kreditvergabe zu stützen. Aber auch negative Hauptrefinanzierungs- und Einlagenfazilitätszinssätze waren ein Instrument unkonventioneller Maßnahmen. Die EZB, wie auch andere Zentralbanken weltweit, setzten die Instrumente ein, um die niedrige Inflation und die drohende Deflation zu bekämpfen.
Ab Ende 2021 und insbesondere im Jahr 2022 änderte sich das wirtschaftliche Umfeld dramatisch. Lieferkettenprobleme nach der Pandemie, eine starke wirtschaftliche Erholung und vor allem der drastische Anstieg der Energiepreise infolge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine führten zu sehr hohenInflationsraten, weit über das 2%-Ziel der EZB hinaus.
Angesichts dieses massiven Inflationsdrucks vollzog die EZB eine entschiedene Kehrtwende in ihrer Geldpolitik und beendete schrittweise die Programme zum Ankauf von Anleihen (APP, PEPP) . Zudem erhöhte die EZB die Leitzinsen erstmals seit über einem Jahrzehnt. Es folgten weitere, teils sehr deutliche Zinsschritte in rascher Folge. Damit wurde die Ära der Null- und Negativzinsen beendet. Der Einlagefazilitätszinssatz wurde in kurzer Zeit wieder positiv.
Das Ziel dieser restriktiveren Geldpolitik ist es, die Nachfrage zu dämpfen und die Inflationserwartungen damit zu stabilisieren. In der Konsequenz sollte die Inflation mittelfristig wieder auf den Zielwert von 2% zurückkehren. Die Herausforderung ist dabei jedoch, die Inflation wirksam zu bekämpfen, ohne dass die Wirtschaft in eine Rezession fällt.
Die Europäische Zentralbank trägt Verantwortung für die geldpolitische und damit auch wirtschaftliche Stabilität im Euroraum. Ihre Hauptaufgabe, die Gewährleistung von Preisstabilität, ist essenziell für das Funktionieren der Wirtschaft und den Werterhalt des Euro. Mit verschiedenen Standardinstrumenten und unkonventionelle Maßnahmen in Krisenzeiten steuert sie die geldpolitischen Bedingungen für Banken und in der Konsequenz auch Unternehmen und Haushalte.
Teaserbild von SNB Finance
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