Abonnieren Sie unseren RSS-Feed
Risiken
26.4.2025
Was sind Kreditrisiken?

Das Kerngeschäft von Banken ist die Vergabe von Krediten – sei es an Privatpersonen, Unternehmen oder andere Banken. Doch mit jedem vergebenen Kredit geht  ein Risiko einher: das Kreditrisiko, auch als Ausfallrisiko oder Kreditausfallrisiko bezeichnet. Es beschreibt die Gefahr, dass ein Schuldner (Kreditnehmer) den vertraglichen Verpflichtungen, also der Zahlung von Zinsen und Tilgungen, nicht oder nicht vollständig nachkommen kann. Dieses Risiko ist üblicherweise das zentralste und bedeutsamste Risiko der Banken.

Nachfolgend werden die wesentlichen Bestandteile der Kreditrisikoermittlung dargestellt.

Der Erwartete Verlust (EL): Die "Kosten des Kreditgeschäfts"

Das erste Element ist der Erwartete Verlust. Der Begriff klingt zunächst paradox: Warum sollte eine Bank Geschäfte abschließen, wenn sie bereits zum Zeitpunkt der Vertragsunterschrift Verluste erwartet? Die Logik dahinter ist wie folgt: Wenn eine Bank Kredite vergibt, kalkuliert sie von vornherein ein, dass ein (kleiner) Teil der Kredite nicht zurückgezahlt werden (ausfallen). Hierbei kann sie auf Daten der Vergangenheit zurückgreifen und daraus ableiten, welcher Anteil eines Kredits im Durchschnitt nicht zurückgezahlt wird. Hier fließen Informationen wie die Bonität, mögliche Kreditsicherheiten (zum Beispiel Immobilien) oder die Tilgungsstruktur (wie schnell wird der Kredit zurückgezahlt) ein. So weiß die Bank zum Beispiel, dass sie bei Kunden, denen sie eine gute Bonität attestiert, von einer geringeren Wahrscheinlichkeit eines Kreditausfalls ausgehen kann.

Der sich daraus über einen bestimmten Zeitraum ergebende durchschnittlich erwarteten Verlust wird passenderweise als der Erwartete Verlust (auf Englisch Expected Loss, EL) bezeichnet. Es handelt sich also aus Sicht der Bank um einen Kostenbestandteil beim Kredit. Er wird deshalb im Kreditzinssatz für den Kunden berücksichtigt. Je höher der Erwartete Verlust, umso höher der Kreditzinssatz.

Um den Erwarteten Verlust zu berechnen, sind drei Größen relevant:

  1. PD (Probability of Default / Ausfallwahrscheinlichkeit): Dies ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kreditnehmer innerhalb eines definierten Zeitraums (meist ein Jahr) ausfällt, also seinen Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nachkommen kann. Die Höhe der PD hängt insbesondere von der Bonität des Schuldners ab. Vergibt die Bank also 100 Kredit an Schuldner mit einer Ausfallwahrscheinlichkeit (PD) von 2%, so erwartet sie, dass im Durchschnitt 2 von 100 Schuldnern den Kredit nicht oder nicht vollständig zurückzahlen werden.
  2. LGD (Loss Given Default / Verlustquote bei Ausfall): Der prozentuale Anteil des Kreditbetrags, der beim Ausfall  voraussichtlich verloren geht. Die Höhe des LGD wird maßgeblich durch vorhandene Sicherheiten (z.B. Immobilien, Bürgschaften), die der Kreditnehmer stellt, beeinflusst. Je werthaltiger die Sicherheiten, desto niedriger die LGD.
    Ein Beispiel: Ein Kreditnehmer hat einen Kredit über 500.000 EUR zum Kauf einer Immobilie, die 800.000 EUR wert ist, aufgenommen. Die Immobilie dient als Sicherheit. Fällt der Kreditnehmer aus und kann die 500.000 EUR nicht zurückzahlen, kann die Bank die Immobilie verwerten, d.h. verkaufen. Sie erhält damit den Kreditbetrag über disen Weg zurück. Der LGD, also der Verlust der Bank, wäre in dem Fall also gering. Werden keine Sicherheiten gestellt, wie bei einem Konsumkredit, ist der LGD hoch.
  3. EAD (Exposure at Default / Kredithöhe bei Ausfall): Dies ist der Kreditbetrag, der zum Zeitpunkt des Kreditausfalls des Schuldners noch offen ist. Mit anderen Worten ist dies die Restschuld zum Zeitpunkt der Zahlungsunfähigkeit. Bei einem Ratenkredit sinkt die EAD mit jeder Tilgung. Die EAD hängt also maßgeblich von der Tilgungsstruktur des Kredits ab: Je höher die Tilgungen sind, umso geringer ist die EAD.

Es ergibt sich somit die folgende Formel für die Ermittlung des Erwarteten Verlusts: EL = PD x LGD x EAD

Zur Verdeutlichung ein  Rechenbeispiel:
Nehmen wir an, eine Bank vergibt einen Unternehmenskredit über 100.000 EUR. Die Bank schätzt die Ausfallwahrscheinlichkeit (PD) für diesen Kunden innerhalb eines Jahres auf 1,5% (in Dezimalzahlen ausgedrückt 0,015). Aufgrund vorhandener Sicherheiten (zum Beispiel eine Maschine, die als Sicherheit verpfändet ist) rechnet die Bank damit, im Falle eines Ausfalls 60% des Betrags zurückzubekommen, was einer Verlustquote bei Ausfall (LGD) von 40% (in Dezimalzahlen ausgedrückt 0,40) entspricht. Es wird keine Tilgung vereinbart, sodass der EAD bei 100% (in Dezimalzahlen ausgedrückt 1) beträgt.

Der Erwartete Verlust für diesen Kredit im nächsten Jahr wäre für dieses Beispiel:
EL = PD x LGD x EAD X Kreditbetrag = 0,015 x 0,40 x 1 x 100.000 EUR = 600 EUR

In Prozent ausgedrückt, sind es: 0,015 x 0,40 x 1 = 0,6%. Der Kreditzins für den Kunden muss also einen Erwarteten Verlust von 0,6% berücksichtigen. Je höher die Ausfallwahrscheinlichkeit des Kunden eingeschätzt wird, umso höher ist der Erwartete Verlust und umso höher wird der Kreditzins ausfallen.

Die Bank muss also damit rechnen, statistisch gesehen 600 € pro Jahr aus diesem spezifischen Kredit (oder einem Portfolio vieler gleichartiger Kredite mit diesen Parametern) als Verlust zu verbuchen. Dieser Betrag sollte durch die Zinsmarge gedeckt sein.

Der Unerwartete Verlust (UEL): Das eigentliche Risiko

Während der Erwartete Verlust eine statistische Durchschnittsgröße ist, stellt der Unerwartete Verlust (Unexpected Loss, UEL) das eigentliche Risiko dar, gegen das sich eine Bank absichern muss. Es beschreibt, abstrakt formuliert,die mögliche negative Abweichung des tatsächlich eintretenden Verlusts vom erwarteten Verlust. Auf den Punkt gebracht bedeutet dies: Der Unerwartete Verlust ist der Verlust, der zusätzlich zum Erwarteten Verlust eintreten kann.

Dieser Unerwartete Verlust wird üblicherweise für einen Zeitraum von einem Jahr und für eine Wahrscheinlichkeit von 99,9% angegeben. Das bedeutet, dass innerhalb eines Jahres mit einer Wahrscheinlichkeit von 0,1% ein Verlust aus Kreditausfällen oberhalb des UEL eintreten wird. Plastisch gesprochen: In 999 von 1.000 Jahren werden Kreditausfälle oberhalb des EL auftreten, die kleiner als der UEL sind. In einem von 1.000 Jahren ein höherer Verlust.

Was bedeutet das nun für Banken? Beim UEL handelt es sich um ein Verlustpotenzial, das mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit eintreten kann. Um diesen potenziellen Verlust abdecken zu können, benötigen Banken ausreichend Eigenkapital (siehe zur Einordnung des Eigenkapitals auch unseren Artikel zur Refinanzierung von Banken). Dieses hat die Funktion, Verluste aufzufangen.

Was beeinflusst nun die Höhe des UEL? Hier spielen unter anderem diese Faktoren mit eine Rolle:

  1. Diversifikationseffekte und Zusammensetzung des Portfolios (Konzentration): Eine Bank, die viele kleine Kredite an unterschiedliche Schuldner in verschiedenen Branchen und Regionen vergibt, hat in der Regel einen geringeren UEL als eine Bank, deren Kreditportfolio stark konzentriert ist - beispielsweise bezogen auf die Schuldner oder wenige Kredite mit hohem Kreditvolumen. Fällt bei einem breit gestreuten Portfolio ein einzelner Kredit aus, ist der Gesamteffekt auf die Bank begrenzt. Man spricht hier vom positiven Effekt der Diversifikation. Hat eine Bank hingegen einige wenige Kredite mit einem hohen Volumen ("Klumpenrisiko"), hat der Ausfall eines Kredits einen wesentlich größeren Einfluss. Zudem spielt auch die Korrelation zwischen den Ausfallwahrscheinlichkeiten der einzelnen Schuldner eine wichtige Rolle, siehe hierzu auch Punkt 3. Selbst bei gleicher Gesamtkreditsumme und gleichem EL kann der UEL also stark variieren. Ein Portfolio, das aus wenigen, sehr großen Krediten besteht (Klumpenrisiko), birgt einen deutlich höheren Unerwarteten Verlust als ein Portfolio aus vielen kleinen Krediten. Der Ausfall eines einzigen großen Schuldners hätte hier gravierende Auswirkungen auf die Bank, die weit über den durchschnittlich erwarteten Verlust hinausgehen können.

  2. Bonität der Kreditnehmer im Portfolio: Die durchschnittliche Bonität der Kreditnehmer (Kreditqualität) beeinflusst zwar primär den Erwarteten Verlust (über die PD), hat aber auch Auswirkungen auf den UEL. Ein Portfolio mit generell niedrigerer Bonität (also höherer Ausfallwahrscheinlichkeit) hat nicht nur einen höheren EL, sondern oft auch einen höheren UEL. Dies liegt daran, dass die Wahrscheinlichkeit für unerwartet viele Ausfälle in Stressphasen steigt und die PDs selbst stärker schwanken können. Die Verteilung der Bonitäten im Portfolio (z.B. viele Kredite an der Grenze zur für die Bank akzeptablen Bonität) ist hier ebenfalls relevant.
  3. Korrelationen zwischen den Ausfällen: Eng verbunden mit der Diversifikation ist die Korrelation, also der statistische Zusammenhang zwischen den Ausfallwahrscheinlichkeiten verschiedener Kreditnehmer. Wenn viele Kreditnehmer von denselben wirtschaftlichen Faktoren abhängen (z.B. alle im Gastgewerbe im gleichen Bundesland), können sie bei einem branchenspezifischen Schick (z.B. die Tourismusnachfrage in dem jeweiligen Bundesland geht deutlich zurück) gleichzeitig ausfallen. Dies ist eine positive Korrelation. Hohe positive Korrelationen im Portfolio erhöhen den UEL deutlich, da sie den Diversifikationseffekt (siehe ersten Bullet) zunichtemachen und zu unerwartet hohen Verlustanhäufungen führen können. Die Messung und Steuerung dieser Korrelationen ist daher auch eine  Herausforderung im Kreditrisikomanagement.

Die Quantifizierung des Unerwarteten Verlusts ist deutlich komplexer als die Berechnung des Erwarteten Verlusts. Sie erfordert statistische Modelle,  Kreditportfoliomodelle. Diese Modelle versuchen, die gesamte Verteilung möglicher zukünftiger Kreditverluste eines Portfolios zu simulieren. Sie berücksichtigen dabei nicht nur die individuellen PDs, LGDs und EADs der Einzelkredite, sondern auch die  zwischen den Ausfallwahrscheinlichkeiten der verschiedenen Kreditnehmer. Durch tausende von Simulationsläufen wird eine Verlustverteilung (welcher Gesamtverlust kann mit welcher Wahrscheinlichkeit eintreten) erzeugt. Aus diesen Simulationen ermittelt die Bank dann einen Verlustwert, der auf Basis des Modells nur mit einer geringen Wahrscheinlichkeit (z.B. in nur einem von 1000 Fällen oder seltener) eintreten oder überschritten wird. Man sucht also nach einer Verlustgröße für sehr schlechte, aber nicht völlig unrealistische Szenarien. Der Betrag, um den dieser seltene Extremverlust den bereits einkalkulierten, durchschnittlichen Erwarteten Verlust übersteigt, wird als Unerwarteter Verlust (UEL) bezeichnet. Die Höhe des so gemessenen UEL dient als Grundlage für die Bestimmung des KapitalsM, das eine Bank vorhalten muss, um auch extreme, unerwartete Verlustereignisse verkraften zu können.

Fazit

Das Management von Kreditrisiken ist für die Stabilität und Profitbailität von Banken von großer Bedeutung. Es erfordert nicht nur die Ermittlung und Berücksichtigung des Erwarteten Verlusts in den Kreditkonditionen, sondern vor allem die Messung und Steuerung des Unerwarteten Verlusts durch eine sorgfältige Bonitätsprüfung, die Strukturierung von Sicherheiten und eine adäquate Diversifikation zur Vermeidung von Klumpenrisiken im Kreditportfolio.

Verwandte Artikel:

Die Risiken der Banken

Was sind Marktpreisrisiken

Was sind operationelle Risiken

Was sind Liquiditätsrisiken


Weitere Artikel aus der Bankenwissen-Reihe finden Sie unter diesem Link.

Suchen Sie nach einem Seminar, das Ihnen einen fundierten Einstieg in die Bankenwelt ermöglicht?
Dann könnte unser Seminar "Bankwissen für Quereinsteiger" das Richtige für Sie sein!

Kontakt
Sind Sie an weiteren Informationen interessiert, haben Sie Fragen?
Sprechen sie uns an