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Risiken
18.4.2025
Was sind Liquiditätsrisiken bei Banken?

Liquiditätsrisiken gehören für Banken zu den zentralen Risiken. Der Umgang damit in Krisenzeiten kann über die Insolvenz einer Bank entscheiden. Die Ereignisse rund um die Credit Suisse und die Silicon Valley Bank im Jahr 2023 haben das eindrucksvoll gezeigt. Dieser Artikel bietet einen kompakten Überblick über das Liquiditätsrisiko von Banken: Was ist es, welche Arten gibt es und wie kann es praktisch schlagend werden?

Starten wir mit einer kurzen Einordnung. Grundsätzlich unterscheidet sich das Liquiditätsrisiko in zwei unterschiedliche Risiken:

1. Liquiditätsrisiko im engeren Sinne:

Zum einen kann einer Bank schlicht das Geld bzw. die Liquidität ausgehen, um alle anstehenden Zahlungen zu leisten. Dies ist das "Liquiditätsrisiko im engeren Sinne".

2. Liquiditätskostenrisiko:

Zum anderen kann die Bank weiterhin Zugang zu Liquidität haben, aber nur zu (stark) erhöhten Kosten, Dieses Risiko wird auch als Liquiditätskostenrisiko bezeichnet.

Im weiteren Artikel werden wir uns diese beiden Risikoarten und alles, was dazu gehört, näher anschauen.

Liquiditätsrisiko im engeren Sinn

Es beschreibt das Risiko, dass eine Bank (oder auch Unternehmen im Allgemeinen) kurzfristig nicht über ausreichende liquide Mittel verfügt, um alle fälligen finanziellen Zahlungsverpflichtungen zu erfüllen.

Dies kann zum Beispiel eintreten, wenn unerwartet viele Kunden - egal ob private Kunden, Unternehmen oder andere Banken - ihre Einlagen (das sind zum Beispiel Guthaben auf Girokonten oder Tagesgelder) zurückfordern. Ein anderer Auslöser kann darin liegen, dass die Bank kein Geld mehr von anderen Banken oder von Unternehmen geliehen bekommt - beispielsweise weil die Bank als nicht mehr vertrauenswürdig angesehen wird. Entscheidend ist also, dass das Risiko daraus resultiert, unmittelbare Zahlungsverpflichtungen nicht mehr bedienen zu können. Hierbei überblickt die Bank einen Horizont von üblicherweise mindestens 30 Tagen in der Zukunft, für den sie potenzielle Liquiditätsengpässe identifiziert.

Liquiditätskostenrisiko

Ganz anders wirkt das Liquiditätskostenrisiko. Dieses Risiko hat verschiedene Bezeichnungen, wir verwenden hier den Begriff Liquiditätskostenrisiko. Die Bank hat bei dieser Risikobetrachtung weiterhin in ausreichendem Umfang Zugang zu Liquidität - allerdings zu schlechteren Konditionen. Die Kosten für die Geldaufnahme sind (deutlich) höher als es aktuell der Fall ist. Dies ist beispielsweise in Stressphasen  der Fall, wenn die Refinanzierungskosten für Banken generell oder nur spezifisch für die Bank ansteigen. Wichtig hierbei ist, dass ein Anstieg des allgemeinen Zinsniveaus (wenn also die Zinsen steigen) nicht Teil des Liquiditätskostenrisikos, sondern des Marktpreisrisikos ist. Beim Liquiditätskostenrisiko geht es um die Aufschläge, die eine Bank zusätzlich auf das allgemeine Zinsniveau für die Refinanzierung bezahlen muss.

Liquiditätsdeckungspotenzial

Was können Banken tun, um Liquiditätsengpässe entgegenzusteuern? Hier wird das sogenannte Liquiditäts­deckungspotenzial (LDP) relevant. Unter diesem Begriff werden die Vermögensgegenstände verstanden, die die Bank nutzen kann, wenn sie Liquidität benötigt. Hierunter fallen zum einen die Guthaben bei Zentralbanken, also beispielsweise bei der Deutschen Bundesbank. Diese Guthaben sind jederzeit nutzbar und können genutzt werden, wenn Liquidität benötigt wird. Außerdem umfasst das LDP insbesondere auch Anleihen (das sind  Forderungen gegenüber Schuldnern wie Staaten, Banken oder Unternehmen als Wertpapier). Diese sind von hoher Qualität (d.h. die Schuldner der Anleihen haben eine ausgezeichnete Bonität) und kann die Bank nutzen, um sie zu verkaufen oder als Sicherheit für einen Kredit, den die Bank aufnimmt, verwenden. Ein weiterer Bestandteil des LDP können Kredite, die die Bank vergeben hat, sein, die sie als Sicherheit für eigene Kredite bei der Zentralbank hinterlegen und somit Liquidität genrerieren kann.

Wie berechnet sich das Liquiditätsrisiko (im engeren Sinne)?

Wir wollen nun einen Blick darauf werfen, wie sich das Liquiditätsrisiko (im engeren Sinne) ermittelt. Vereinfacht gesagt sind die folgenden Schritte relevant:

1. Summierung aller vertraglichen Zahlungsein- und -ausgänge
Es werden alle Zahlungsein- und -ausgänge, die der Bank bekannt sind, ermittelt. Wir wollen als Beispiel annehmen, dass für die nächsten drei Tage folgenden Zahlungen in Summe existieren:

Tag 1: + 1 Mrd. EUR Zahlungseingänge
Tag 2: + 3 Mrd. EUR Zahlungseingänge, kumuliert: + 1 Mrd. EUR (Tag 1) + 3 Mrd. EUR (Tag 2) = 4 Mrd. EUR
Tag 3: - 5 Mrd. EUR Zahlungsausgänge, kumuliert: + 1 Mrd. EUR (Tag 1) + 3 Mrd. EUR (Tag 2) - 5 Mrd. EUR (Tag 3) = -1 Mrd. EUR

Es ergibt sich somit folgendes Bild, wobei die Balken die Zu- und Abflüsse an den jeweiligen Tagen darstellen, die Linie den kumulierten Saldo:

2. Berücksichtigung von geplantem Geschäft
Es werden erwartete Zahlungsein- und -ausgänge aufgrund von geplanten neuem Geschäft, wie zum Beispiel geplanten Kreditvergaben berücksichtigt (hier würde die Bank also die Neugeschäftsplanung oder mögliche Refinanzierungen am Kapitalmarkt im Normalfall berücksichtigen). Um das Beispiel einfach zu halten, unterstellen wir hier keine Zahlungen. Die Schritte 1 und 2 geben also ein Bild über die resultierenden Zahlungsströme im Normalfall ("Normal Case").

3. Berücksichtigung von Szenarien
Es werden verschiedene Szenarien unterstellt, die die Bank in unterschiedlichem Umfang belasten. Für unser Beispiel unterstellen wir, dass in diesem Szenario am zweiten Tag Kundeneinlagen in einem Volumen von 2 Mrd. EUR abgezogen werden, weil das Vertrauen der Kunden in die Bank schwindet. Es ergäben sich also folgende kumulierten Salden (siehe hierzu auch Schritt 1) für dieses Szenario:

Tag 1: +1 Mrd. EUR
Tag 2: + 4 Mrd. EUR im Normalfall  (siehe Tag 2 aus Schritt 1) minus 2 Mrd. EUR im Szenario = + 2 Mrd. EUR
Tag 3: -1 Mrd. EUR im Normalfall (siehe Tag 3 aus Schritt 1) minus 2 Mrd. EUR im Szenario = - 3 Mrd. EUR

Das Liquiditätsprofil verändert sich wie folgt, wobei die rote Linie den kumulierten Saldo im Szenario anzeigt und der gestrichelte Balken der Liquiditätszufluss, der durch das Szenario reduziert wird:

Die Bank hätte in diesem Szenario also am dritten Tag einen Liquiditätsbedarf von 3 Mrd. EUR.

4. Ermittlung und Berücksichtigung des LDP
Es wird das Liquiditätsdeckungspotenzial (LDP) ermittelt. Beispielhaft soll die Bank ein Guthaben bei der Bundesbank in Höhe von 2 Mrd. EUR haben sowie nutzbare Anleihen im Gegenwert von 2 Mrd. EUR. Welche Anleihen Bestandteil des LDP sind und in welchem Umfang sie als Liquiditätsquelle dienen können, hängt vom jeweiligen Szenario ab. Das verfügbare LDP kann sich im Zeitverlauf auch ändern und wird teilweise für jeden Tag in der Zukunft genau ermittelt.

5. Ermittlung des Liquiditätsrisikos

In unserem Beispiel hat die Bank einen Liquiditätsbedarf von 3 Mrd. EUR an Tag 3, hat jedoch ein Liquiditätsdeckungspotenziel von insgesamt 4 Mrd. EUR. Um dies zu verdeutlichen, wird in die grafische Darstellung mit einer grünen Linie das LDP mit einbezogen, in dem Fall 4 Mrd. EUR. So hoch kann der Liquiditätsbedarf maximal ausfallen und die Bank dennoch zahlungsfähig bleiben:

Die Bank könnte also ganz praktisch zur Deckung des Bedarfs das Guthaben bei der Zentralbank (2 Mrd. EUR) sowie 1 Mrd. EUR an Anleihen verwenden und wäre weiterhin zahlungsfähig. Hätte die Bank nicht ausreichend LDP, würde ihr ohne Gegenmaßnahmen in dem Szenario nach drei Tagen die Zahlungsunfähigkeit drohen. In der grafischen Darstellung würde dann die rote Linie (der Liquiditätsbedarf in dem unterstellten Szenario) unter die grüne Linie (das maximal verfügbare LDP) fallen.

In einem ähnlichen Vorgehen würden dann auch das Liquiditätskostenrisiko ermittelt werden, indem berechnet wird, wie hoch die Kosten in einem Szenarien mit erhöhten Refinanzierungskosten wären.

Das skizzierte Vorgehen ist stark vereinfacht. In der Praxis werden weitere Aspekte wie zum Beispiel Restriktionen im Umfang der möglichen Refinanzierung, unterschiedlichste Szenarien, wesentlich längere Zeiträume oder Auswirkungen von derivativen Geschäften und vieles mehr berücksichtigt.

Der Zeitpunkt in der Zukunft, an dem die Bank im jeweiligen Szenario zahlungsunfähig wäre, wird auch als "Time to Wall" bezeichnet.

Die Liquidity Coverage Ratio (LCR)

Bei dieser Kennzahl handelt es sich um eine regulatorische Vorgabe, die Banken einhalten müssen. Sie können hier nur bedingt eigene Szenarien und Modelle berücksichtigen. Um die Anforderungen der LCR zu erfüllen, muss der Umfang von hochqualitativen, leicht veräußerbaren Vermögenswerte (das ist von der Grundidee her vergleichbar wie das oben beschriebene LDP) mindestens die Netto­zahlungsabflüsse in einem 30 Tage andauernden Stressszenario übersteigen.

Die dahinter stehende Anforderung könnte man zusammenfassen mit: Reicht das Liquiditätsdeckungspotenzial gemäß LCR-Definition (dort als "erstklassige liquide Aktiva", HQLA, bezeichnet) aus, um einen Monat zu überstehen, selbst wenn die Bank einen stark erschwerten Zugang zu Liquidität hat?

Was die Kennzahl nicht abbildet, ist der Preis, zu dem die Bank zusätzliche Mittel beschaffen muss. Die LCR deckt also aus regulatorischen Sicht das Liquiditätsrisiko im engeren Sinne ab, nicht jedoch das Liquiditätskostenrisiko.

Praxisbeispiele Credit Suisse und Silicon Valley Bank

Dass Liquiditätsrisiken nicht nur theoretisch sind, sondern auch Banken praktisch in die Bedrängnis bringen können, hat die Finanzkrise in den Jahren 2007 bis 2009 gezeigt. Aber auch in jüngerer Vergangenheit gab es im Jahr 2023 zwei Fälle, in denen sich materialisierende Liquiditätsrisiken Banken an den Rand der Existenz gebracht haben:

Credit Suisse
Im Herbst 2022 verlor die Credit Suisse nach einer Serie von Problemen (u. a. Greensill‑Fonds und Archegos‑Verluste) und angekündigten Verlusten zunehmend das Vertrauen ihrer Kunden. Im Jahr 2022 hat die Bank fast 160 Mrd. Schweizer Franken (CHF) an Kundeneinlagen verloren (siehe hierzu den Geschäftsbericht 2022 der Credit Suisse), das waren fast 40% der gesamten Kundeneinlagen. Die Bilanzsumme der Bank, die das Volumen des abgeschlossenen Geschäfts zeigt, reduzierte sich im Jahr 2022 entsprechend um knapp 30%. Weitere Einlagenabflüsse im Jahr 2023 folgten und auch Unterstützungen durch die Zentralbank konnten die Mittelabflüsse nicht stoppen. Letztlich führte dies im März 2023 dazu, dass die Credit Suisse nicht mehr überlebensfähig war und zur Übernahme durch die UBS.

Silicon Valley Bank
Ähnlich wie bei der Credit Suisse waren auch bei der Silicon Valley Bank (SVB) Verluste der Auslöser für einen massiven Vertrauensverlust der Einleger. Dieser verstärkte sich immer mehr und führte dazu, dass die Bank im März 2023 innerhalb von nur zwei Tagen 85% der Kundeneinlagen verlor (vgl. hierzu den Bericht "Report on the 2023 banking turmoil" des Basel Committee on Banking Supervision). Die Konzentration auf wenige große Firmenkunden beschleunigte diese Entwicklung. Die Bank konnte nicht genügend liquide Mittel für diese Abflüsse mobilisieren, sodass Kalifornische Bankenaufsicht am 10. März 2023 die SVB geschlossen hat.

In beiden Fällen waren es also massive Abflüsse von Einlagen, die die Banken letztlich in den Ruin führten und nicht etwa hohe Verluste aus dem Kreditgeschäft. Das verdeutlicht, dass Liquiditätsrisiken nicht nur theoretischer Nur sind, sondern unmittelbare Auswirkungen auf die Stabilität von Banken haben können.

Zusammenfassung

Das Liquiditätsrisiko ist eines der wesentlichen Risiken, die Banken beobachten und steuern müssen. Neben einem möglichen Anstieg von Refinanzierungskosten, den wir in diesem Artikel nur am Rande erwähnt haben, spiegelt es die Gefahr einer Zahlungsunfähigkeit im Sinne von fehlender Liquidität wider. Während anderen Bankenrisiken durch ausreichend Kapital entgegen gewirkt werden kann, bedarf es für die Steuerung des Liquiditätsrisikos anderer Instrumente - maßgeblich muss die Bank ausreichend Liquiditätsdeckungspotenzial zur Verfügung haben, um im Fall von Liquiditätsengpässen und -krisen ausreichend Liquidität mobilisieren zu können. Die Ereignisse rund um die SVB und die Credit Suisse haben eindrücklich gezeigt, welche Folgen schlagend werdende Liquiditätsrisiken haben können.


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